Beitrag von KoserFan
geschrieben vor 1 Jahr
0 Kommentare
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Safari
Jonas: Der Löwe war kein echter Löwe. Natürlich nicht. Seit Jahren gab es keine Löwen mehr auf der Erde. Und in einer Raumstation schon gar nicht. Aber echt oder nicht, der Löwe war da. Und er sah gefährlich aus. So gefährlich, daß Jonas vorsichtshalber erst mal rannte und sich einen hohen Baum suchte. Kokospalme oder Bandiang, was weiß ich. Auf Bäumen haben Löwen nichts zu suchen. Das wußte ich. Und das wußte auch der Löwe, zu meinem Glück. Ich wartete, bis mein Puls wieder unter Schallgeschwindigkeit war, und dann versuchte ich Sam über Funk zu erreichen.
Jonas: Sam! Sammy! Wo steckt der verrückte Blechkanister? Sam!
Sam: Hat mein Herr und Meister gerufen?
Jonas: Gerufen? Gebrüllt habe ich. Hör zu, du Spottgeburt von Chips und Eisen.
Sam: Om mani padme hum. Om mani padme hum. Om mani padme hum.
Jonas: Was?
Sam: Om mani. O fleischgewordener Buddha. Das heißt.
Jonas: Ist mir völlig wurscht, was das heißt. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich auf der Notfrequenz bereithalten, rund um die Uhr.
Sam: So ist es, o Ozean aller Weisheiten. Doch hat nicht auch ein Computer gewisse, sagen wir es frei heraus, gewisse seelische Bedürfnisse. Ein wenig Meditation.
Jonas: Meditation?
Sam: Yoga, o du Kleinod im Lotus. Tantra. Fernöstliche Mystik.
Jonas: Sam, wenn du nicht auf der Erde wärst, gut 4000 km weit weg, würde ich dir einen Tritt verpassen, daß deine Modulen jodeln.
Sam: Wie spricht Buddha? Innere Ruhe, Frieden, Abgeklärtheit. Dies alles ist weit wertvoller denn das kostbarste Juwel. Und ferner sagt er...
Jonas: Schluß damit, Sam. Paß mal auf: Hier sind die Algen am kochen.
Sam: OK, Chef. Werden wir abgehört?
Jonas: Nehm ich an.
Sam: Also Frequenzwechsel. Plan 17.
Jonas: Alles klar. – Sam? Bist du noch da, Sam?
Sam: Dieses, o Freude meiner Schaltkreise, ist die große Frage. Denn ist nicht, was hier ist, auch da, und was da ist, hier?
Jonas: Soll sein, Sammy, aber die Riesenschlage ist leider hier und nicht da.
Sam: Welche Riesenschlange, o Licht des Karma?
Jonas: Die hier angeringelt kommt. Python. Boa constrictor. In dieser Preisklasse.
Sam: Es gibt keine boa constrictor mehr, o Meister magischer Mysterien. Und auch keine Python.
Jonas: Weiß ich selber, du kannst gern raufkommen und dir das Vieh ankucken. Ich muß los, Sam. Bleib dran.
Sam: Alle Erscheinungen des Lebens lassen sich vergleichen mit einem Traum, einem Gebilde der Fantasie, einer Phase, einem Schatten...
Jonas: Amen. Schön wär’s. Aber die Löwen und Schlangen ließen sich beim besten Willen nicht wegmeditieren. Und alle diese interessanten Bestien hatten nur ein Ziel: Sie wollten Jonas. Und wenn sie ihn hatten, dann wollten sie ihn bestimmt nicht bloß streicheln. Da hatte ich mich wieder mal voll reingesetzt. Genauer gesagt, ich war reingesetzt worden. Als das Telefon klingelte, gestern, am 5. Juni 2009, kurz nach Mitternacht, schlief ich noch sorglos den Schlaf des Gerechten. Hätte ich geahnt, was auf mich zukam, wäre ich unters Bett gekrochen. Oder ausgewandert.
Jonas: Huah-Ah! Crembell goodwell. Ja?
Jonas: Das Telefon klingelte. Laut und unfreundlich. Ich griff mir den Hörer und meldete mich. Das Telefon klingelte immer noch. Ich machte die Augen auf. Was ich mir mit der Hand ans Ohr hielt, war mein Wecker.
Jonas: Shit. Jonas. Was ist los?
Quartz: Jonas? Nur Jonas.
Jonas: Jonas, nur Jonas. Und Jonas, nur Jonas, hat gerade geschlafen. Es ist jetzt, Sammy...
Sam: Mit dem letzten Ton ist es genau 0 Uhr, 13 Minuten und 5 Sekunden. Piep.
Jonas: Sie hören es. Rufen Sie am Morgen wieder an, wer immer Sie sind.
Quartz: Ich bin Oleander Quartz.
Jonas: Morgen, Herr Quartz.
Quartz: Sie kennen mich nicht.
Jonas: Ich bin viel zu müde, um Sie zu kennen. Morgen.
Quartz: Ich habe einen Auftrag für Sie.
Jonas: Und wenn Sie mich mit Gold überziehen und mir den Koh-i-Noor in den Nabel setzen wollen. Morgen.
Quartz: Die Koh-i-Noor. Das wäre ein wenig zu viel des Guten. Aber eine nicht unerhebliche Summe hatte ich Ihnen in der Tat zugedacht.
Jonas: Also gut, ich bin sowieso schon fast wach. In ein paar Minuten rufe ich zurück.
Quartz: Nein, ich rufe Sie wieder an. In genau einer viertel Stunde.
Jonas: Quartz, Sammy, Oleander Quartz.
Sam: Was ist ein Name, ehrwürdiger Guru.
Jonas: Sam ist mein Computer. Er kann viel, fast alles. Sprechen auch, leider. Sam ist ein Versuchsmodell. Der intellektuelle Computer für den Intellektuellen. Ich habe ihn trotzdem gekauft. Seinerzeit 2005. Weil er billig war. McCoy-Computers haben ihn damals verramscht. Der gute Sam war kein Erfolg. Er geht den Leuten auf die Nerven, außerdem ist er nicht normal. Seine Sprachprogramme haben sich verdreht und durcheinander geschoben. Ich komm im Allgemeinen klar mit ihm, aber manchmal tut’s mir doch leid, daß ich ihn am Hals habe, bzw. in meinem Büro oder als drahtlose Extension in der Hosentasche. Vor allem, wenn er auf irgendeinem esoterischen Trip ist. Wie jetzt.
Sam: O Bhagwan, was ist ein Name.
Jonas: Ich sage nur Schrottmühle, Sammy. Laß den Quatsch und sag mir, wer Oleander Quartz ist.
Sam: Hören ist gehorchen, großmächtiger Sultan. Piep. Oleander Quartz, geboren 24. 4. 1900.
Jonas: 109 Jahre alt, Respekt.
Sam: Oleander Quartz ist Begründer und erster Direktor von Orbis International, Raumstationen und Satelliten en gros.
Jonas: Der Kringelkönig. War mich doch gleich so, als ob ich den Namen kenne.
Sam: Oleander Quartz ist mehrfacher Milliardär, er lebt äußerst zurückgezogen an unbekanntem Wohnsitz. Sein Vorbild ist der historische Industrielle Howard Hughes, Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Jonas: Kenn ich, Sam.
Sam: Falls Exzellenz weitere Daten wünschen. Oleander Quartz ist zumindest nominell Mitglied im Club der Milliardäre und im interkontinentalen Jagdclub Halali. Ferner...
Jonas: Nicht nötig, Sammy. – Jonas.
Quartz: Oleander Quartz. Ich spreche ungern mit unsichtbaren Partnern. Gehen Sie auf Bildfon.
Jonas: Ich drückte den Knopf, der den Bildfonkanal freigibt. Was Quartz jetzt sah, wußte ich. Einen unausgeschlafenen Mann in den 40ern. Kräftig und altmodisch. Ich mach mir nämlich nichts aus Körpermalerei. Um den Mann herum ein Büroapartment, Kategorie mittel-unten, 22 Quadratmeter. Nicht aufgeräumt natürlich. Auf meinem Bildschirm war nur ein Gesicht. Uralt, mehrfach geliftet und trotzdem faltig, die dünnen weißen Haare waren echt, auch wenn sie ihrem Besitzer auf höchst merkwürdige Weise zu Berge standen. Die grauen Augen wirkten weder echt noch alt. Offensichtlich Neuerwerbungen, gerade erst transplantiert.
Quartz: Sehen Sie mich?
Jonas: Ich sehe Sie, Herr Quartz, Sie sehen mich. Was soll ich für Sie tun?
Quartz: Nicht so schnell, junger Mann. Zuerst ein paar Fragen. Sie haben als Söldneroffizier am antarktischen Krieg teilgenommen?
Jonas: Auf der Verliererseite.
Quartz: Das interessiert mich nicht. Sie sind also militärisch ausgebildet?
Jonas: Ja, aber...
Quartz: Wo?
Jonas: Wollen wir nicht zur Sache kommen?
Quartz: Ich bin bei der Sache. Wo sind Sie ausgebildet worden?
Jonas: Wenn’s denn sein muß. Grundkurs hier in Babylon, und dann zwei Lehrgänge an der Universität von Managua, Kommandotechnik und Taktik der Guerilla. Sonst noch was?
Quartz: Demnach kann man Sie als Experten in allen martialischen Künsten bezeichnen.
Jonas: Wenn Sie es so ausdrücken wollen.
Quartz: Und Sie sind Detektiv. Der letzte Detektiv. So nennen Sie sich. Warum?
Jonas: Warum was?
Quartz: Warum der letzte?
Jonas: Weil`s stimmt. Natürlich gibt’s noch ein paar Leute, die sich Detektiv schimpfen, aber die sind bloß Wächter, Leibwächter, Nachtwächter, Heinzelmännchens Wachtparade. Nichts für Jonas. Ich bin der letzte wirkliche Detektiv. Wenigstens in den Vereinigten Staaten von Europa. Ganz bestimmt in Babylon.
Quartz: Was für ein Stilbruch. Jonas, vielleicht wissen Sie es, Jonas gehört nicht nach Babylon. Jonas gehört nach Ninive.
Jonas: Ha-ha. Hören Sie zu, Herr Quartz, nichts gegen einen kleinen Plausch um Mitternacht, aber vielleicht sagen Sie mir jetzt doch, was Sie von mir wollen.
Quartz: Meine Sekretärin, meine Privatsekretärin, Linda Lorant.
Jonas: Ich höre.
Quartz: Sie ist seit zwei Tagen verschwunden.
Jonas: Ach was.
Quartz: Sie hat sich nicht bei mir gemeldet, und in ihrem Apartment ist sie auch nicht.
Jonas: Die klassische Frage, Herr Quartz, warum gehen Sie nicht zur Polizei?
Quartz: Die klassische Antwort: Es handelt sich um einen besonderen Fall.
Jonas: Was Sie nicht sagen.
Quartz: Mit Linda sind Daten verschwunden. Daten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Vertrauliches Material für meine Memoiren.
Jonas: Erpressung?
Quartz: Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Auf jeden Fall will ich die Daten zurück haben. Sie, Jonas, werden sie suchen und finden, natürlich.
Jonas: Im Prinzip ja, Herr Quartz. Aber vorläufig sind Sie für mich nur ein Gesicht auf dem Bildfon.
Quartz: Rufen Sie Ihr Konto ab. Nummer 27 27 41 B, Bank von Babylon.
Jonas: Sie sind gut informiert, Herr Quartz. Sam?
Sam: Der Kontostand euer Hoheit beträgt zur Zeit genau 1240 Euros und 13 Cents.
Quartz: Vor einer halben Stunde hatten Sie nur 240 Euros, 13 Cents. Die 1000 sind von mir. Vorschuß.
Jonas: Ich kriege 80 Euros pro Tag, und Spesen.
Quartz: Ich zahle das Doppelte. Dafür erwarte ich, daß Sie unauffällig vorgehen. Und Ihr Bestes geben, versteht sich. Die Informationen, die sich brauchen, Bild, Bürgernummer, Wohnung etc, lasse ich Ihrem Computer einspielen. Ihren ersten Bericht erstatten Sie heute Abend.
Jonas: Wie kann ich Sie erreichen?
Quartz: Ich rufe Sie an.
Jonas: 1000 Euros. Nicht schlecht. Ein warmer Regen auf den heißen Stein. Aber wieso man zum Sekretärinnen-Suchen martialische Künste brauchte, war mir nicht so recht klar. Egal. Am nächsten Morgen rief ich Judith an. Judith ist meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Vielleicht wird mal eine D.P. daraus, eine Dauerpartnerschaft. Sie sehen, Jonas ist zurückgeblieben. Der älteste Hut: Eine Frau und ein Mann. Kein Dreieck, keine Gruppe oder so was. Judith ist nicht nur meine z.B., sie hat auch eine höhere Position im Ministerium für Statistik und Soziographie. Insofern kann ich ganz zwanglos das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Jonas: Ich seh dir in die Augen, Kleines.
Judith: Diese verrückte Welt. Was wird noch alles passieren. Sehen wir uns heute Abend?
Jonas: Ich plane nie soweit voraus.
Jonas: Wir sind beide Nostalgiker. Unsere Zeit ist die Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine wilde, eine aufregende Zeit. Die Zeit von Philip Marlowe und Humphrey Bogart, und von Ingrid Bergman, nicht zu vergessen. Bißchen Casablanca-Turtel muß sein. Aber dann kam ich zur Sache, und sagte Judith, was ich von ihr wollte. Ein Persönlichkeitsprofil von Linda Lorant.
Judith: Wer ist das?
Jonas: Ein Fall. Ich brauch die Daten für einen Fall.
Judith: Natürlich. Nur für einen Fall?
Jonas: Ach, das... das würde ich nicht sagen.
Judith: Jonas...
Jonas: Doppeltes Honorar, 1000 Euros Vorschuß, da freut sich auch Privatmensch Jonas. Judith, ich glaube, du bist eifersüchtig.
Judith: Unsinn.
Sam: Eifersucht. Antiquierter Begriff für einen antiquierten Gemütszustand. Ungebräuchlich seit der Jahrtausendwende.
Judith: Du hältst dich raus, Sam.
Sam: Obzwar ein Computer per definitionem lediglich gehalten und verpflichtet ist, den Anordnungen seines rechtmäßigen Herrn und Meisters zu folgen, siehe Gebrauchsanleitung, Seite 6 folgende, will Sam als Kavalier sich der Bitte der hohen Frau nicht verschließen und...
Jonas: Sammy, halt die Klappe.
Sam: Befehl, Klappe halten.
Judith: Falls du jetzt ein bißchen Zeit für mich hast, Jonas, hier sind die Daten: Linda Lorant, Bürgernummer...
Jonas: Ist bekannt. Wohnung auch.
Judith: 40 Jahre alt, Sekretärin, völlig alleinstehend, keine Beziehung, keine Partnerschaft. Magister Artium Kommunikationstechnik, ehemals europäische Hochschulmeisterin im Siebenkampf, schwarzer Gürtel Karate, keinerlei Interesse an Holovision und sonstigen kulturellen Aktivitäten. Hobby: Einzelwandern in Island, Zentralaustralien, Wüste Gobi. Reicht das?
Jonas: Danke Judith. Sehen wir uns?
Judith: Wenn dein Fall dir Zeit läßt, und dein geliebter Blech-Professor nichts dagegen hat. Ruf mich an.
Sam: Wie ich anzumerken bereits Gelegenheit hatte, ist Eifersucht...
Jonas: Eine Sache, die dich nicht das Geringste angehrt. Kümmere dich um unseren Fall. Reden ist Silber, denken ist Gold. Na, was ist, Sammy?
Sam: Ich denke, o unauslotbare Erhabenheit, wie es mein Herr mir befahl.
Jonas: Sehr schön, Sam. Und was denkst du?
Sam: Ich denke, o du mein ein und alles, eine tüchtige Person, diese Linda Lorant. Sportlich.
Jonas: Was du nicht sagst. Da wäre ich ohne dich nie draufgekommen.
Sam: Man könnte auch sagen: martialisch.
Jonas: Aha. Und? Was schließt du daraus?
Sam: Aufgrund unzureichender Daten sieht Sam sich zu Folgerungen vorerst nicht in der Lage.
Jonas: Also Schluß mit der Spekulation. Beinarbeit ist angezeigt. Sehen wir uns das Apartment der Dame mal von innen an.
Sam: Ein Vorschlag, o Retter der Witwen und Waisen, welcher Sams volle Zustimmung findet.
Quartz zahlte. Deshalb konnte ich es mir leisten, fremde Beine für mich arbeiten zu lassen. Ein Rikscha-Kuli strampelte sich ab, und nach einer guten halben Stunde war ich da, im Westen. Nicht weit vom Markgrafenboulevard. Hier roch es nach Geld. Nicht nach abgegriffenen 10-Euroscheinen, sondern nach den allerbesten Aktien. Und nach Schecks mit vielen Nullen. Linda Lorant wohnte im Turm zu Babel. 40 Stockwerke, 4000 Apartments. Und der Turm war gut bewacht. Ein grimmiger Drache gleich neben der Tür in der Eingangshalle, ein zweiter weiter hinten, vor einer Konsole von Monitoren. Auf den ersten Blick war da nur mit Gewalt was zu machen. An sich kein Problem für Jonas, wenn sich Quartz nicht jedes Aufsehen verbeten hätte. Und der Auftraggeber hat grundsätzlich immer recht. Also erst mal in eine nahe Bar, um mit Sam Rat zu pflegen. Mit Sam zwo natürlich, der drahtlosen Extension in Taschenausführung.
Automatenstimme: Ihr Synth-Brandy, mein Herr oder meine Dame. Der Rechnungsbetrag wird von Ihrem Konto abgebucht. Vielen Dank.
Jonas: Wuäh.
Sam: Voll im Aroma. Herrlich im Geschmack. Synth-Brandy. Edler als Cognack.
Jonas: Du glaubst auch alles, Sammy. Zur Sache. Wie kommen wir in Linda Lorants Apartment?
Sam: Das, hochzuverehrender älterer Bruder, ist eine schwierige Frage.
Jonas: Denk dir was aus. Wer von uns beiden ist denn der Computer?
Sam: Könnten Hoheit nicht eines Apartments bedürftig sein?
Jonas: Wieso? Ach so. Gar nicht schlecht, Sammy, gar nicht schlecht. Wem gehört der Turm zu Babel?
Sam: Der TuBa. Turmbau-zu-Babel GmbH.
Jonas: Sieh dir die Angebotstafel durch. Wir brauchen ein leer stehendes Apartment im... äh... wo wohnt die Dame Lorant?
Sam: Ich achten Stockwerk, o Sonne meiner Seele. Apartment 813.
Jonas: Also möglichst im 8. Stock. Oder in der Nähe.
Sam: 713 ist zu haben, Chef.
Jonas: Direkt darunter. Besser geht’s doch nicht. Telefon!
Automatenstimme: Bitte sehr, mein Herr oder meine Dame. Wünschen Sie auch Bildfon?
Jonas: Nicht nötig.
Automatenstimme: Schieben Sie die rechte Hälfte ihrer Kontokarte in den Schlitz vorn am Gerät. Der Betrag wird abgebucht. Danke sehr.
Jonas: Über Telefon verkündete ich dem Oberwächter im Turm, ich sei die TuBa und würde in Kürze einen Interessenten für Apartment 713 rüberschicken. Einen gewissen Herrn Jonas.
Jonas: So, damit sind wir erst mal drin.
Sam: Und dann, wenn Hoheit die Frage gestatten?
Jonas: Wird sich ergeben, Sammy. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, man soll den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun.
Sam: Es steht aber auch geschrieben, Sahib, der kluge Mann baut vor.
Jonas: Frisch gewagt ist halb gewonnen.
Sam: Erst wägen, dann wagen.
Jonas: Er muß eben immer das letzte Wort haben, der gute Sam. Im Turm lief alles wie am Schnürchen. Der mietlustige Herr Jonas wurde von einem der Drachen in den 7. Stock gefahren, und sah sich das freie Apartment an.
Jonas: Ja, recht hübsch.
1. Wächter: 40 Quadratmeter. Berechtigungsschein für diese Wohnraumklasse haben Sie doch, oder?
Jonas: Mein bester, was für `ne Frage. Selbstverständlich besitze ich den Wohnberechtigungsschein. Tja, recht hübsch, wie gesagt. Äh, lassen Sie mich ein paar Minuten allein, ja? Ich... ich muß die Atmosphäre auf mich wirken lassen. Aura. Vibration. Wenn Sie verstehen, was ich meine.
1. Wächter: Das ist eigentlich nicht gestattet.
Jonas: Und uneigentlich? 10 Euros?
1. Wächter: Alles klar. Und melden Sie sich über Hausfon, wenn Sie fertig sind, ja?
Jonas: Ich gab ihm drei Minuten, und machte mich dann auf in den Keller. Über die Treppe. Todsicher. Im Turm zu Babel sind Treppen nur Kunst am Bau. Im Keller stand, wie ich erwartet hatte, das Herzstück der elektronischen Überwachungsanlage. Ein massiver Steuercomputer.
Sam: Hä hä hä hä. Uraltes Modell. Mit so was spricht unser einer überhaupt nicht.
Jonas: Wird dir gar nichts anderes übrig bleiben, Sammy. Wie willst du den alten Kasten außer Gefecht setzen, ohne Interface. Und außer Gefecht setzen müssen wir ihn.
Sam: Ohne jeden Zweifel, Herr Kapellmeister. Ein schwieriges Unterfangen. Was die Sicherung der Fenster betrifft, muß ich mich als gänzlich machtlos bekennen.
Jonas: Machtlos? Wie das, o du mein elektronischer Alleskönner?
Sam: Es handelt sich, o du vor allen Computern preiswürdiger Menschenverstand, um ein elektrisch-mechanisches System. Eine echte Antiquität aus dem mittleren 20. Jahrhundert.
Jonas: Und da kannst du gar nichts machen, Sam?
Sam: Kein Stück, Boss. Andererseits die TV-Kameras an den Eingangstüren der bewohnten Apartments ließen sich mit Leichtigkeit ausschalten.
Jonas: Ah, du willst der Kamera vor Apartment 813 ein Standbild einspielen, nehme ich an.
Sam: Ausgezeichnet, hochwertiger Chef, aber nicht ganz korrekt. Ich beabsichtige, das nunmehr gezeigte Bild, auf welchem die geschlossene Tür, und nur die geschlossene Tür zu sehen ist, für eine gewisse Zeit festzuhalten. Eine halbe Stunde. Wäre dies dem Herrn genehm?
Jonas: Die Treppen rauf, im Geschwindschritt, ganz schön anstrengend die Detektiverei, Türschloß knacken, Kleinigkeit, umsehen. 813 war ein ganz normales 40-Quadratmeter-Apartment. Ordentlich, aufgeräumt. Ein Zimmer, Bad, Kochkonsole, Echtholzmöbel, Servicetextgerät, Bildfon, Holoset.
Jonas: Moment mal, Holoset. Da war doch was.
Sam: Laut Persönlichkeitsprofil, beigesteuert von meines großen Meisters menschlicher Gefährtin, pflegt die Bewohnerin dieses Apartments sich den Wonnen der Holovision nicht hinzugeben.
Jonas: Wenn ich den Set anstelle, passiert gar nichts. Und das heißt.
Sam: Der Apparat ist eine Attrappe, o scharfsinnigster aller Detektive.
Jonas: Du merkst auch alles, Sam. Machen wir das Ding mal auf. Was hat ein kluger Detektiv stets bei sich? Nachschlüssel. Paßt nicht. Brecheisen.
Sam: Und seinen Computer. Dürfte dieser, eurer illustren Durchlaucht empfehlen, auf den kleinen roten Hebel rechts unten zu drücken. Auf diesen da, ganz recht.
Jonas: Sieh mal an, ein Tresor. Wertpapiere. Schmuck.
Sam: Interessant, o allerwertester, jedoch kaum das, was wir suchen.
Jonas: Und was suchen wir, Sam?
Sam: Eminenz belieben zu scherzen. Das Herrn Quartz entwendete Material natürlich. Das heißt konkret: Disketten. Kassetten.
Jonas: Sam, hier ist `ne Kassette. Kommando zurück, ist ne leere Hülle.
Sam: Welche aller Wahrscheinlichkeit nach das fragliche Datenmaterial enthalten hat. Linda Lorant hat es mitgenommen, als sie das Apartment verließ.
Jonas: Letzteres offenbar freiwillig. Kein Anzeichen von Gewaltanwendung. Frage: Wohin ist Linda Lorant gegangen?
Sam: Wie ihr Persönlichkeitsprofil zeigt, besitzt sie kein Fahrzeug.
Jonas: Natürlich nicht. Sie ist zwar in der 40-Quadratmeterklasse, aber keine Millionärin.
Sam: Sofern sie nicht zu Fuß ging, muß sie also ein Transportmittel benutzt haben.
Jonas: Eine Rikscha, nehm ich an. Und wie bestellt man eine Rikscha?
Sam: Über Servicetext, o Beherrscher der Gläubigen.
Jonas: Worauf wartest du, Sammy?
Sam: Einschaltung in Speicher von hier befindlichem Servicetextgerät ergibt: Besitzerin hat 3. Juni 2009...
Jonas: Vor zwei Tagen...
Sam: 7 Uhr 30 Rikscha bestellt, Fahrziel: Orbidrom. Abbuchung 11 Euros.
Jonas: Aha. Weißt du, was wir jetzt machen, Sammy?
Sam: Klar, Boß.
Jonas: Was ist das?
Sam: Es klingelt an der Tür, o Gesetzgeber des Weltalls.
Jonas: Weiß ich selbst, ich meine, wer?
Sam: Ein guter Rat, Meister, zur Tür schleichen, horchen.
1. Wächter: Niemand da, gnädige Frau.
Nachbarin: Reden Sie keinen Blech. Ich hab deutlich Geräusche gehört. Und Schritte.
1. Wächter: Wenn Sie das sagen, gnädige Frau. Aufmachen!
Jonas: Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ein Wächter, und eine hellhörige Nachbarin. Andererseits, unter höheren, dramaturgischen Gesichtspunkten, war es ja auch mal wieder Zeit für ein bißchen Aktion.
Jonas: Sammy, wir müssen was tun.
Sam: Meine Rede, Chef.
Jonas: Die holen hier nicht die Polizei, Sammy, die nicht. Die nehmen mich selber in die Mangel. Und bei so was kann der Mensch leicht aus dem Fenster fallen, und das im 8. Stock.
Nachbarin: Schließen Sie auf, Mann, Sie haben doch einen Hauptschlüssel.
1. Wächter: Ja schon, aber ich weiß nicht.
Sam: Wo befinden wir uns, o Leuchter der Wissenschaft?
Jonas: Du stellst Fragen, Turm zu Babel, Apartment 813 natürlich.
Sam: Falsch. Wir befinden uns im Apartment 713. Offiziell. Ein kurzer Rutsch.
Jonas: Rutsch?
Sam: Durch den Müllschlucker. Und Hochwürden halten sich dort auf, wo sie sich befinden. Gebe allerdings untertänigst zu bedenken, daß eine gewisse Beschleunigung, mach hin, Mensch, da, neben der Kochkonsole, Klappe auf.
Jonas: Ein Glück, daß ich nicht Derowolt bin.
Sam: Schi heil.
Jonas: Leicht verschmutzt und ungewöhnlich duftend krabbelte ich ein Stock tiefer aus der Röhre. Keine Sekunde zu früh. Der Drache, der das Apartment oben leer vorgefunden hatte, tauchte plötzlich in 713 auf, und wich mir bis ins Foyer nicht mehr von der Seite. O Mißtrauen, wie sehr vergiftest du Frohsinn und Geselligkeit. Goethe. Oder vielleicht doch nur der Parkwächter unter der Hauptwache?
Jonas: Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich mich entschieden habe.
1. Wächter: Tun Sie das.
2. Wächter: Was war denn los in 813?
1. Wächter: Ach nix. Die Alte spinnt.
2. Wächter: So was kommt vor. Sag mal, du warst doch drin?
1. Wächter: In 813? Klar.
2. Wächter: Wirklich?
1. Wächter: Ja doch.
2. Wächter: Komisch. Du warst nicht auf dem Monitor.
1. Wächter: Ich war nicht auf dem Monitor? Was war denn auf dem Monitor?
2. Wächter: Nichts. Die Tür zu 813, und die Tür war zu die ganze Zeit.
1. Wächter: Da muß einer an der Elektronik rumgefummelt haben.
2. Wächter: War jemand im Haus? Sie da! Hallo!
Jonas: Jetzt wurde es ungemütlich. Ich legte einen Zahn zu, machte einen großen Schritt durch die Tür auf die Straße. Und da hatte ich es noch eiliger.
2. Wächter: Halt! Bleiben Sie stehen!
Jonas: In der martialischen Kunst des geordneten taktischen Rückzugs ist Jonas kaum zu schlagen. Ein paar geschickte Ausweichmanöver um zwei oder drei Ecken, und ich war in Sicherheit. Nächste Station: natürlich das Orbidrom. Der Raketenport von Babylon. Außerhalb der Stadt. Über einen öffentlichen Terminal ließ ich mir von Sam eins Linda Lorants Bild überspielen. Und damit hätte ich, nach dem kleinen Handbuch für Privatdetektive, alle Schalter abklappern sollen. Aber ich hatte so eine Idee, und ging gleich zur Abfertigung von OI, von Orbis International.
Schalterbeamter: O ja, die war hier. Ich erinnere mich.
Jonas: Gutes Gedächtnis haben Sie.
Schalterbeamter: Unmöglich angezogen die Frau. Zugeschnürt bis zum Hals. Und alles in Magenta, ich bitte Sie, trägt doch kein Mensch heutzutage.
Jonas: Und was trug der Mensch heutzutage? Ein Stückchen Leoparden-Fell, Kunststoff natürlich. Große gelbe Kreise auf allen vier Backen, und das blaue Stirnband von Orbis. Der junge Mann am Schalter sah aus wie ein leicht psychedelischer Jonny Weismüller.
Jonas: Wann war das?
Schalterbeamter: Vorgestern. Kurz vor 9. Ich war gerade zum Dienst gekommen.
Jonas: Was hat sie gebucht?
Schalterbeamter: Sie hat überhaupt nicht gebucht. Sie ist gleich durchgegangen zum privaten Sektor. Die Tür hier. Moment. Haben Sie einen Paß?
Jonas: Den könnte ich jederzeit kriegen.
Schalterbeamter: Dann kriegen Sie ihn. Ohne Paß kommen Sie nicht durch.
Jonas: Ich hätte mir einen Paß besorgen können, über Quartz, aber die Sache war auch anders zu klären. Einfacher und vor allem schneller. Wozu hatte ich Sam? Der schaltete sich kurz in die Flugpläne ein, und was dabei rauskam, war dies: In der fraglichen Zeit war nur eine einzige Rakete vom Privatsektor gestartet. 9 Uhr 18. Flugziel: Torus OI 96. Das war’s. Mehr konnte ich vorläufig nicht tun. Ich fuhr zurück nach Hause. Wenn man ein mickriges Büroapartment von 22 Quadratmeter zuhause nennen kann. Am Abend, wie versprochen, meldete sich Quartz über Bildfon.
Quartz: Torus OI 96. So. Eine von meinen Raumstationen. Ich meine, eine Station von Orbis International. Früher Vergnügungsbetrieb. Zoo. Rummel.
Jonas: Und heute?
Quartz: Stillgelegt. Für die Öffentlichkeit gesperrt. Technisch überholt. Wir benutzen den Torus als Speicher und für ein paar unwichtige Büros.
Jonas: Was hat Linda Lorant auf ihrer abgelegten Raumstation zu suchen?
Quartz: Das werden Sie feststellen. Offensichtlich eine Intrige innerhalb der Firma. Jemand will mich ausschalten. Das hat man schon oft versucht, aber nie erreicht. Sie, Jonas, fahren nach oben und sehen für mich nach dem rechten.
Jonas: Warum nicht. Wenn Sie den gesetzlichen Exterra-Zuschlag drauflegen. 50 %.
Quartz: Ich sorge dafür, daß man Sie im Orbidrom passieren läßt, und daß eine Kurzstreckenrakete für Sie bereitgehalten wird. Viel Erfolg und Waidmanns Heil.
Jonas: Waidmanns Dank. Bevor ich wieder zum Orbidrom rausfuhr, tauschte ich Sam zwo noch fix ein gegen ein spezial Exterra-Funkgerät im Kleinformat. Was wäre Jonas auch im Weltraum ohne seinen Freund und Helfer. Wie üblich verabredete ich mit Sam Notsignale und Random-Frequenzwechsel. Merksatz Nummer 1 für Detektive und solche, die es werden wollen: Man kann nie wissen.
Pilotin: 10,9,8,7,6,5,4,3,2,1, zero.
Jonas: Eine Spritztour. Torus OI 96 war nur rund 4000 km hoch. Erst zu viel Schwerkraft, dann zu wenig. Kenn ich. War oft genug draußen. Keine schlechte Pilotin, die Quartz bzw. Orbis mir zugeteilt hatte. Unser Landekontakt war so sanft wie Judiths Lächeln. Dann die übliche Warterei. Bis das Vakuum in der Landezone durch Atmosphäre ersetzt war.
Jonas: Haben Sie vorgestern eine Frau hier her geflogen. 40. Nicht gerade modisch angezogen?
Pilotin: Ja.
Jonas: Haben Sie sie auch wieder abgeholt?
Pilotin: Nein, keine Anweisung.
Jonas: Anweisung? Von wem?
Pilotin: Tragen Sie eine Feuerwaffe? Laserstrahler? Ballistische Pistole?
Jonas: Letzteres. Eine Smith & Wesson Detective Special.
Pilotin: Abliefern.
Jonas: Mein Gott, ist doch keine Waffe, eher eine Antiquität. Ein Maskottchen.
Pilotin: Eiserne Regel. Die Toruswände könnten beschädigt werden. Sie wollen sich doch wohl nicht selbst vakuumisieren. Abliefern. Danke. Sie können aussteigen.
Jonas: Durch die Landeklappe stieg ich in die Luftschleuse des Torus. Da fühle ich mich, ehrlich gesagt, immer ein bißchen unsicher. Das unendliche Vakuum des Weltalls ist ungeheuer nah, und wer weiß schon, wie gut die Ventile schließen. Deshalb beeilte ich mich, durch die zweite Klappe zu kommen. Ich war in einem großen runden Raum. Unten, in der Nabe des Torus. Sie wissen doch, wie eine Raumstation in Torusform aussieht. Richtig. Wie ein Rad. An einer Rikscha zum Beispiel. Ein Rad mit einem Schlauch außen rundherum. Mit einer Nabe in der Mitte und mit vier Speichen zwischen Nabe und Schlauch. Die ganze Geschichte hatte einen Durchmesser von gut 3 km, und drehte sich zweimal pro Minute um sich selbst. Dadurch herrschte im Schlauch fast die gleiche Schwerkraft wie auf der Erde, und in der Nabe, na? Natürlich Schwerelosigkeit. Soviel zur Verdeutlichung. Zurück zu Jonas. Unten in der Nabe von Torus OI 96. Frisch gelandet und begierig, Sam zu kontakten.
Sam: Haben eure Großmächtigkeit eine angenehme Reise gehabt? Unbehelligt von der bösen Raumkrankheit? Und wie kommen Ehrwürden mit der Schwerelosigkeit zurecht?
Jonas: Danke der Nachfrage, Sammy, ganz ausgezeichnet. Hoppla. Himmel All und saurer Regen. Das verflixte Funkgerät hat sich selbständig gemacht. So. Also, Sam, ich such mir jetzt ne Speiche, und geh vor zum Schlauch. Da wird sie stecken, diese Linda Lorant.
Sam: Wo sonst, o leuchtendes Muster an Tiefsinn.
Jonas: Du gehst jetzt über auf 1. Notfrequenz, Sam.
Sam: Mein Meister befürchtet Gefahren?
Jonas: Durchaus möglich, aber ich werde schon durchkommen. Mit meinen martialischen Künsten.
Sam: Martialische Künste. Wenn Sam doch nur aufgehen würde, welch geheimnisvolle Rolle sie in vorliegendem Fall spielen.
Jonas: Wird sich zeigen, Sammy, wird sich zeigen. Auf geht’s.
Sam: Over and out.
Jonas: Ich schwebte durch die Torusnabe, nach oben oder unten, ganz wie Sie wollen, bis zur Mitte, und da gingen die vier Speichen ab. Frage: Welche war die richtige. Antwort: Die mit dem Schild zu den Büros. Da schwebte ich rein. Von jetzt an ging’s vertikal weiter. Allmählich nahm die Schwerkraft zu. Ich ließ das Schweben sein, verlegte mich aufs Springen, dann aufs Laufen, kam ans Ende zu einer Tür, machte sie auf, trat durch, machte sie hinter mir zu. Und stand da wie angewurzelt. Klimperte mit den Augen und kniff mich in den Arm. Das waren doch keine Büros.
Jonas: Ich glaub, ich steh im Wald.
Jonas: Erster Reflex, zurück zur Tür, aber die war zu, und ging nicht mehr auf. Ob ich wollte oder nicht, ich war und blieb im Wald. Was heißt Wald. Ich stand im Dschungel. Wenigstens mit einem Bein, dem rechten. Links war Steppe. Rechts wucherte ein tropischer Regenwald. Lianen, Palmen und was sonst noch dazu gehört. Erstaunlich, was man in einem Schlauch von nicht mehr als 30 Meter Durchmesser so hinkriegen kann. Durch große Fenster und Sonnenreflektoren. Ein Treibhaus, ein Tropenparadies, mit Jonas als Adam. Von Eva war leider nichts zu sehen, und von der Schlange auch nicht. Noch nicht. Statt dessen meldete sich eine andere wichtige Persönlichkeit.
Quartz: Willkommen auf Safari, Jonas.
Jonas: Wer ist das?
Quartz: Hier spricht Gott.
Jonas: Kann ich mir nicht vorstellen.
Quartz: Erkennen Sie meine Stimme?
Jonas: Ich glaub, mein Computer piept. Quartz.
Quartz: Gutes Ohr, Jonas. Wenn der Rest auch so präzis funktioniert. Ich bin übrigens tatsächlich Gott. Der Gott dieses Torus, dieser meiner Welt. Ich habe ihr den Namen gegeben, Safari. Schon früher, als sie noch exterristiale Belustigungsstation war. Eine glorifizierte Schießbude für brave Bürger, die Nimrods spielen und wilde Tiere schießen wollten. Ohne Risiko. Sie wußten, die Bestien waren nur Robots. Täuschend ähnliche Repliken, aber ganz und gar ungefährlich. Das ist jetzt anders. Ich habe gewisse Umprogrammierungen vornehmen lassen. Diese Wesen, mein lieber Jonas, sind nun mindestens so gefährlich wie ihre ausgestorbenen Vorbilder. Ich bin gespannt, wie Sie sich gegen sie halten werden.
Jonas: Ich? Danke bestens, kein Interesse. Deshalb bin ich nicht hier. Haben Sie’s vergessen? Ihre Sekretärin?
Quartz: Hahahahaha.
Jonas: Und da, bißchen spät, muß ich zugeben, ging mir ein Licht auf. Ein ganzer Kronleuchter. Und die Schuppen fielen mir wie ein Wasserfall von den Augen.
Quartz: Ach, Sie sind endlich dahinter gekommen. Der Auftrag war eine Finte. Ich habe Spuren ausgelegt, um Sie, Jonas, nach Safari zu bringen. Und da sind Sie nun.
Jonas: Nicht zu bestreiten. Linda Lorant gibt es also nicht.
Quartz: O doch. Nur die Geheimdaten sind nicht existent. Die Lorant habe ich hierher gelockt, wie Sie. Sie hat mir ein paar Stunden guten Sport verschafft. Tüchtige Frau. Sie, Jonas, werden es hoffentlich noch besser machen.
Jonas: Was haben Sie mit mir vor?
Quartz: Ich jage, Jonas. Ich habe auf der Erde gejagt, solange es dort noch jagdbares Wild gab. Dann hier, die Robots. Aber das geht nicht mehr. Ich bin immobil. Eine Sammlung von Transplanten. Die Medizin hat Grenzen, selbst für Milliardäre. Heute jage ich indirekt. Ich habe Safari überholt und ausgebaut. Überall Mikrophon, Lautsprecher, Kameras. An meiner Konsole, vor meinen Monitoren, bin ich dabei. Jede Sekunde auf jedem Meter. Wenn meine Robokiller ihre Opfer durch den Dschungel hetzen.
Jonas: Menschenjagd?
Quartz: Der Mensch ist das edelste Wild. Das gefährlichste. Beiläufig auch das einzig noch existierende Wild.
Jonas: Ich mißgönne ja keinem sei Hobby. Aber warum wollen Sie ausgerechnet mich jagen: Haben Sie was gegen mich?
Quartz: Ja, das auch. Ich hege Groll gegen Sie.
Jonas: Wie haben noch nie was miteinander zu tun gehabt.
Quartz: Sagen Sie das nicht. Ich bin Sponsor, bedeutender Sponsor von ZIP, dem Zentralinstitut für Populationsforschung.
Jonas: Der Testmarktfall vor 3 Monaten.
Quartz: Ganz recht. Aus überholten moralischen Motiven haben Sie, Jonas, ein hochinteressantes Programm gestoppt. Ein Programm, das gewisse Aussichten hatte, der Überbevölkerung Einhalt zu gebieten. Mein eigentlicher Grund ist jedoch ein anderer. Sie sind ein würdiges Jagdwild, Jonas.
Jonas: Ich verstehe. Die martialischen Künste.
Quartz: In der Tat. Sie zu jagen, wird es, da bin ich sicher, ein sportlicher Hoch-Genuß sein. Und eine Ehre. Für mich und für Sie.
Jonas: Danke. Auf die Ehre würde ich gerne verzichten. Wie soll ich mich gegen ihre Killer wehren? Mit bloßen Händen?
Quartz: Ich bitte Sie, das wäre nicht waidmännisch. Ihre Ausrüstung finden Sie hinter der Palme rechts von Ihnen. Da, dort.
Jonas: Pfeile und Bogen, Speere. Ein Messer. Das ist alles?
Quartz: Reicht es Ihnen nicht?
Jonas: Nehmen wir einmal an, ich werde mit ihren Robokillern fertig. Was passiert dann?
Quartz: Dann werde ich höher programmierte Jäger auf Sie ansetzen.
Jonas: Ich habe also keine Chance.
Quartz: Genug geredet. Jetzt werde ich sehen, wie sich Jonas, der Detektiv, Jonas, der Jäger, als Gejagter hält. Halali, die Jagd beginnt.
Jonas: Ein Löwe kam näher. Ich versteckte mich, und rief Sam über Funk. Aber das habe ich ja schon erzählt. Die Riesenschlange, die sich dann unangenehm bemerkbar machte, wollte ich kunstgerecht tranchieren, aber das Messer ging glatt durch. Das Vieh war überhaupt nicht vorhanden.
Quartz: Ein Hologramm, Jonas. Ein Hologramm, wie auch andere meiner Tiere. Aber nicht alle. Einige sind höchst real. Sie werden es feststellen. Sofern Sie noch dazu kommen, wenn ein Robokiller Sie in den Klauen hat.
Jonas: Also nahm ich jedes einzelne Biest ernst. Notgedrungen. Es war ein richtiges Gedrängel. Löwen, Tiger, Leoparden, Schlagen, Skorpione, was weiß ich noch alles. Zwischendurch informierte ich Sam über die Lage, so gut es ging. Und der zerbrach sich für mich den Kopf, den er nicht hatte. Zwei Stunden später war ich müde. Die Pfeile gingen zur Neige, die Speere desgleichen. Aber Jonas lebte noch, und die Robokiller waren funktionsunfähig. Das alles stimmte Herrn Quartz nicht eben froh.
Quartz: Gratuliere. Sie haben sich gut gehalten. Besser als erwartet. Vermutlich lassen Sie sich über Funk von Ihrem Computer beraten. Interessanter Random-Frequenzwechsel. Leider habe ich nicht die Zeit, ihn aufzuschlüsseln.
Jonas: Sie sind eben zu sehr mit Ihren Spielzeugen beschäftigt.
Quartz: Beschleunigen wir die Sache. Es ist Zeit, die Wilden zu aktivieren. So nenne ich meine Robokiller in menschlicher Gestalt. Mit einem wesentlich höher programmierten Reflex und Aggressionsverhalten. Dagegen wird auch ihr Computer machtlos sein. Sie waren gut, Jonas, aber einmal muß ein Ende gemacht werden. Vorher gebe ich Ihnen eine Pause von, sagen wir, einer halben Stunde. Ich bin kein Unmensch.
Jonas: Das sah ich anders. Aber danach fragte er mich nicht. Pause also. Ich ließ mich fallen, wo ich gerade stand. In der Steppe. Am Fuß eines Kilimandscharo im Miniformat. Das war eine Anhäufung von Erde am Rand des Schlauchs. Weiter geführt durch einen gemalten Schneegipfel. Ganz hübsch. Allerdings hatte ich kaum Augen dafür. Ich fühlte mich so einsam wie Jonas im Walfischbauch. Nur daß ich das Gefressenwerden noch vor mir hatte. Wie sollte ich hier rauskommen? Vielleicht hatte Sam eine Idee.
Sam: Es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Mein Herr und Meister muß versuchen, an Quartz selbst heranzukommen und ihn auszuschalten.
Jonas: Dazu müßte ich erst mal wissen, wo er steckt.
Sam: Natürlich im Torus, o Rächer der Enterbten.
Jonas: Klar, aber wo im Torus?
Sam: Nicht im Schlauch.
Jonas: Da hätte ich ihn schon gefunden. Moment mal Sammy. Quartzens Kopf im Bildfon. Diese komisch gesträubten Haare. Schwerelosigkeit.
Sam: Herr Quartz befindet sich in der Nabe des Torus.
Jonas: Und zwar oben. Unten ist die Landezone.
Sam: Ein vielfältig erneuerter Mensch wie Herr Quartz fühlt sich zweifellos wohl im schwerelosen Zustand. Herz und Kreislauf werden weniger belastet...
Jonas: Hör mal, für medizinische Vorlesungen haben wir jetzt keine Zeit. Sag mir lieber, wie ich den Kerl zu fassen kriege. Durch die Speichen?
Sam: Vorsicht, Volksgenosse, Feind hört mit.
Jonas: Keine Angst, Sam, ich sitz auf dem Mikro. Also, Speichen gehen nicht, die Türen sind fest zu und werden bestimmt elektronisch überwacht.
Sam: Die Erfahrung lehrt uns, o überirdischer Bodhisattva, es gibt immer und überall eine Hintertür. Bei Dysfunktion des Schaltzentrums, um notwendige Außenreparatu-ren durchzuführen muß es möglich sein, den Schlauch des Torus auf direktem Wege zu verlassen. An irgendeiner Stelle der Außenwand befindet sich ein Notausgang.
Jonas: Wo, Sam, wo?
Sam: Ohne Frage ist er versteckt. Vermutlich in einer Erdaufschüttung.
Jonas: An der Außenwand gibt’s nur eine Erdaufschüttung. Hier, wo ich sitze. Den Kilimandscharo.
Jonas: Und am Kilimandscharo sollte sie sein, die Hintertür. Sam rechnete sie aus. Über Größe, Drehmoment, dieses und jenes. Und Sam hat sich noch nie verrechnet. Ich wollte gleich los, aber...
Sam: Stop. Möge der hochwürdige Vater Abt bedenken, daß Quartz die Möglichkeit hat, ihn zu beobachten. Wieviel Kameras sind in Sichtweite?
Jonas: Da, und da, und da ist auch noch eine. Drei.
Sam: Drei. Und über wie viele Pfeile verfügt mein Meister?
Jonas: Ein, zwei, leider nur drei, Sammy.
Sam: Drei Pfeile, drei Kameras, ausgezeichnet.
Jonas: Das sagst du so leicht dahin. Was ist, wenn ich daneben schieße?
Sam: Dann, alter Freund, bist du eine Leiche.
Jonas: Naja. Von der Seite her gesehen.
Jonas: Ich zielte wie ein Weltmeister, und setzte die drei Kameras, die meine Sektion überwachten, mit drei Schüssen außer Gefecht. Auch diesmal hatte Sam sich nicht verrechnet. Ich fand den Notausgang genau da, wo er sein sollte. An der Bergwand, unter einem Busch. Innen ging links eine zweite Tür ab, zur Luftschleuse. Rechts hingen Raumanzüge und diverses Werkzeug. Ich lieh mir einen Lasercutter und eine Rückstoßpistole aus, stieg schneller als je zuvor in einen Raumanzug, machte das Funkgerät im Helm fest, dann 5 Minuten Luftschleuse, und ich war draußen. Erste Weltraumaktivität von Jonas: Ich befestigte die riesenlange Nylonleine des Anzugs an einem Außenhaken. Schließlich wollte ich nicht von nun an bis in Ewigkeit als neue Raumstation die Erde umkreisen. So. Was nun?
Sam: Gestatten Majestät einen guten Rat.
Jonas: Wozu hab ich dich denn, Sammy. Schieß los.
Sam: Zuförderst sollten dero Großmächtigkeit darauf achten, stets außer Sicht des Herrn Quartz zu bleiben, welcher sich wie bekannt im oberen Teil der Torusnabe befindet.
Jonas: Und so langsam mißtrauisch werden dürfte.
Sam: Hoheit täten gut daran, sich von der Nabe her betrachtet, hinter der Schlauchwand zu halten, sich mittels der Rückstoßpistole zur nächstgelegenen Speiche vorzuarbeiten, und dann über der Speiche bis in die Mitte zur Nabe.
Jonas: OK, Sammy, es geht los. Heil, Safari.
Sam: Oder auch Waidmanns Heil.
Jonas: An der Nabe pirschte ich mich mit Halali nach oben. Selber jagen macht viel mehr Spaß als gejagt werden. Die Nabe war oben abgeschlossen durch eine Halbkugel mit umlaufendem Fenster. Ich zog mich hoch, vorsichtig, ganz vorsichtig, und linste nach innen. Ja, das war der Kontrollraum. Und da...
Jonas: Da ist Quartz.
Sam: Wo hätte er sich wohl auch sonst befinden sollen, o größter Schnüffler aller Zeiten?
Jonas: Da hockt er, wie... wie...
Sam: Wie die Spinne im Netz.
Jonas: Eher wie ein Ochsenfrosch im Teich. Um ihn herum seine Jagdausrüstung. Monitore. Hebel. Schalter. Schläuche. Drähte.
Sam: Was tut er?
Jonas: Er ist nervös. Er drückt auf irgendwelche Knöpfe.
Sam: Er ahnt, was ihm bevorsteht, euer Lordschaft.
Jonas: Und gleich wird er es ganz genau wissen. Operation Safari. Letzter Teil. Aktion.
Sam: Es geht ein rechter Lasercutter durch Metall als wie durch Batter. Butter.
Jonas: O Sam.
Jonas: Als er das Zischen an der Wand hörte, da war Quartz klar, was sich abspielte. Aber jetzt war es zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Laserstrahl und auf das immer größer werdende Loch in der Wand. Die Atmosphäre verschwand zischend in den Raum, Vakuum breitete sich aus, Quartz schwoll an, wurde immer unförmiger, Blut spritze aus seinen Poren, sein Kopf war ein gigantischer roter Luftballon, und dann, dann platzte er, und was an ihm Blut, Fett, Muskelfleisch war, explodierte in den Kontrollraum und an mir vorbei in den kalten Kosmos. Ein Stahlgerüst, diverse Einbauteile, und ein paar Knochen, das war alles, was übrig blieb vom großen Gott der Safaristation.
Jonas: Wie sagt man am Ende der Jagd, Sam?
Sam: Jagd vorbei, Halali, o Wonne des Weltalls.
Jonas: Genau. Also Jagd vorbei. Und von mir aus auch Halali.
Sam: Was ist das Leben des Menschen?
Jonas: Berechtigte Frage, Sammy.
Sam: Nichts anderes denn ein Traum, ein Schatten, ein Tropfen Tau, der in der Sonne vergeht.
Jonas: Die Rakete lag noch am Landeplatz. Ich ließ mich zur Erde zurückbringen. Unten erstattete ich gleich Anzeige, aber das hätte ich mir sparen können. Orbis International, das zeigte sich später, war mächtig genug, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Vom Apartment aus rief ich Judith an. Ich hatte so ne Idee, daß sie mir beim Lecken meiner Wunden helfen könnte. Judith war nicht da. Mir blieb nur Sam. Nichts gegen Sam, aber Judith ist er nicht.
Sam: Ökonomisch betrachtet, o vielvermögender Hauptabteilungsleiter, empfiehlt es sich für einen Detektiv nicht, seinen Auftraggeber zu vakuumisieren.
Jonas: Ein wahres Wort, Sam. Was habe ich von der Sache gehabt? Ein Ausflug im Raum, ein paar Stunden Angst und Hetze, Kratzer und Schrammen, ein schauderhaftes Bild, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Sam: Und 1000 Euros.
Jonas: Was?
Sam: Der Kontostand meines Herrn beträgt zur Stunde 1162 Euros, 9 Cents. Herr Quartz hatte Vorschuß gezahlt.
Jonas: Richtig, hatte er. Ganz vergessen. Wie schön. Das Leben sah gleich besser aus. Immer noch grau, zugegeben, nicht rosig, aber doch mit einem kleinen Goldrand am Horizont.
Jonas: Immerhin.
Sam: Halleluja, Harekrischna. Amen.
Jonas: Du sagst es, Sammy.
Das war Safari. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Wolfgang Büttner, und viele andere. Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.